Auf den Schildern neben den Werken des amerikanischen Künstlers Wade Guyton, da wo bei anderen Kunstwerken z.B. „Öl auf Leinwand“ steht, liest man „Epson [genaue Typbezeichnung] Tintenstrahldrucker“. Bei der Größe der Werke kann es nicht derselbe Drucker sein, den wir auch im Atelier stehen haben. Manche Bilder lassen an „Farbpatrone leer“, „Tintenkopf reinigen“ oder „Druckpatronen ausrichten“ denken.
Es gibt auch ein paar Objekte: große Buchstaben U oder X in Chrome und verbogenes Stahlrohr – zufällig bekomme ich bei der Ausstellungsführung neben uns mit, dass dies mal ein Freischwinger von Marcel Breuer (Designer am Bauhaus) war … Moment, ein Original? Den hätte man heile teuer verkaufen können!
Das Stahlrohr vom Freischwinger ist aber dann schon das einzige Original. Ansonsten handelt es sich um Kopien von Kopien von Kopien, auch das Stahlrohrobjekt wurde fotografiert und taucht in mehreren Ausdrucken auf. Genau genommen sind es auch keine Kopien, sondern fehlerhafte Reproduktionen der Reproduktion einer Reproduktion. Ich denke (hätte ich mal den Begleittext gelesen, wüsste ich es vielleicht): Da will uns jemand ein X für ein U vormachen, aber sagt man das auch im Amerikanischen so?
Je länger ich mir die Sachen betrachte, umso interessanter werden sie. In den meisten Fällen bekommen wir die Realität ja auch nur noch über Fotos oder Ausdrucke zu Gesicht. Bildverschiebungen, zerschnittene Skylines von einem architektonisch wenig beeindruckenden Teil einer Stadt, wiederholen sich, werden aber versetzt wieder aneinandergefügt und von Bildern, die nach Druckfehler aussehen, unterbrochen.
Ich stelle mir vor, wir würden in einer Welt von Druckfehlern leben, so wie man im Film „The Matrix“ in einer virtuellen Realität lebt. Es soll ja auch Paralleluniversen geben, die vielleicht ebenso aussehen wie unseres, aber leicht verschoben sind und Trump reicht Obama (s.u.) in dem einen Universum die Hand und Obama Trump in einem parallelen. Genau betrachtet bildet diese verschobene Version die Realität viel passender ab. Besonders gut gefällt mir auch das zerteilte Foto eines – es sieht nach Streit aus – in einer hässlichen Küche. Streiten sie wirklich miteinander oder jeder in seinem Paralleluniversum aneinander vorbei?
Wade Guyton schafft es mit seinen Werken, sich Gedanken zum Thema „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ im Zeitalter vielfältiger Reproduktionstechniken zu machen. Was auf den ersten Blick wenig beeindruckend daher kommt (ich denke da z.B. an einen Vergleich mit den großen Wald-Gemälden von David Hockney, die an genau denselben Wänden im Museum Ludwig in Köln ausgestellt waren), entpuppt sich als interessante Auseinandersetzung mit dem eigenen „In der reproduzierten Welt“-Sein.
Denn leben wir nicht tatsächlich in einer Reproduktion einer Reproduktion der Welt mit einer Vielfalt parallel existierender mehr oder minder voneinander abweichender Reproduktionsexemplare, von der wir uns aber einbilden, sie sei die unverfälschte Realität?
(mh)