Heute und in sog. „modernen“ Kulturen scheint man zwischen symbolischen Dingen, Ereignissen oder Handlungen und rein funktionalen, praktisch-nützlichen zu unterscheiden. Das Symbolische findet in der Religion, den Künsten, teils auch in der Politik statt. Produkte, alltägliche Verrichtungen, Bauwerke oder Stadtplanungen folgen hingegen ausschließlich einem funktionalen Nutzen: Auf einem Stuhl soll man bequem sitzen können – vielleicht ist er ergonomisch so gestaltet, dass er Schädigungen der Wirbelsäule vermeidet. Eine Verkehrsinsel soll den Bewegungsfluss in einer Stadt möglichst effizient regeln. Fragt man Menschen – wie wir es in einer Studie getan haben – nach welchen Kriterien sie einen Besen kaufen, dann ist die erste Antwort: er soll gut kehren und das möglichst schnell und sauber, also praktisch funktionale Eigenschaften.
Fragt man aber weiter, z.B. danach, was sie mit einem Besen sonst noch verbinden, welche Bedeutungen oder welche Symbolik, ändern sich die Antworten: Ein Besen dient der Kultivierung des menschlichen Territoriums, er hält auf sanfte Art die Natur fern, damit sie sich das kultivierte Gebiet nicht zurück erobert. Fegen kann auch symbolisch die Seele reinigen als eine Art Übergangsritual, wenn man z.B. eine neue Wohnung bezieht und sie als erste Handlung ausfegt: Altes beseitigen für einen Neuanfang. Mönche fegen meditativ. Besen können zaubern, werden von Hexen und Harry Potter geritten, sind irgendwie magisch.
Es zeigt sich also, dass die Trennung von funktional und symbolisch nur an der Oberfläche existiert und näher beleuchtet der heutige Umgang mit Dingen oder Bauwerken ebenso „archaisch“ auch immer eine symbolische Bedeutung hat. Das Funktionale überlagert jedoch bei alltäglichen Dingen das Symbolische oft so sehr, dass es kaum noch gewahr wird. Als aufgeklärter Mensch kauft man selbstverständlich keinen Besen, weil man sich Zauberkraft von ihm erhofft. Die Symbolik der Kultivierung oder das symbolische Reinigen als Übergangsritual ist jedoch nicht magisch, sondern eher psychologisch, denn auch die Psychologie weiß längst, dass Dinge für Menschen nie nur funktional praktisch sind. Der Philosoph Ernst Cassirer hält die symbolische Komponente im menschlichen Denken, Fühlen und Handeln sogar für so grundlegend, dass er Homo sapiens sapiens „Homo symbolicus“ nennt.
Fremder Blick
Man stelle sich vor, es sei das Jahr 5000 n.Chr.: Die Papierdokumente aus unserer Zeit sind längst verwest. Zwischenzeitliche Naturkatastrophen oder Gesellschaftskatastrophen – ein Szenario, wie es in vielen SF-Filmen dargestellt wird – haben die Spuren der Vergangenheit beinahe vollständig vernichtet und im Kampf um das Überleben hat sich keiner darum gekümmert, die Geschichte unserer Zeit zu überliefern. Gefunden werden einzelne Bruchstücke: Reste von Betonbrückenpfeilern, eine alte Stempeluhr, eine Waschmaschinentrommel, kleine silberne bunt schillernde Scheibchen, deren Zweck als Datenträger niemand mehr kennt. Daten tragen sie auch schon lange nicht mehr.
Nehmen wir an, dass die Menschen im Jahr 5000 wieder „archaischer“ geworden sind und daher davon ausgehen, dass diese Fundstücke aus unserer Zeit eine symbolisch-rituelle Bedeutung hatten. Sie betrachten die Fundstücke also mit einem fremden Blick, der eher die Bedeutung in den Dingen sieht als die praktische Funktion. Wie wird nun der Fund einer alten Stempeluhr gedeutet werden? Man fragt sich vielleicht, zu welchen rituellen Zwecken sie wohl gebraucht wurde. Wurden hier Sternbilder abgebildet, ein stilisiertes menschliches Gesicht? Welche mystische Bedeutung verbirgt sich wohl in den kleinen Silberscheiben? Dienten sie vielleicht zur Besänftigung der Götter?
Künstlerische Forschung
Man kann aber auch heute schon die eigene aktuelle Kultur mit einem fremden Blick betrachten. Manchmal helfen dabei z.B. Dinge oder Bauwerke, die ihre Funktion nicht offenbaren, z.B. weil sie noch nicht fertig sind.
Meine erste Idee zu meinem künstlerischen Thema hatte ich, als ich auf einer einfachen geraden Straße fuhr – ohne jede Abzweigung – und sich mitten auf dieser Straße ein Kreisverkehr befand. Der Grund dafür, so stellte sich später heraus, war dass man schon vorsorglich den Kreisel gebaut hatte und die abzweigenden Straßen erst später gebaut wurden. Im aktuellen Zustand wirke es jedoch überaus seltsam und ich beschloss, Verkehrsinseln näher zu erforschen, mit künstlerischen also sinnlichen Mitteln: welche Formen gibt es, welche Ausprägungen, wie regeln sie die Bewegung von Verkehrsteilnehmern und was sagt diese Bewegungsordnung – symbolisch, nicht funktional betrachtet – über unsere Kultur aus? (siehe Menüpunkt: Bewegungsordnung)
In meinen Kunstwerken geht es darum, diese symbolische Bedeutung heraus zu arbeiten. Man könnte auch eine Studie dazu durchführen und wie am Beispiel Besen Menschen nach der Bedeutung befragen (siehe auch „empirische Kunst“). Mit einem künstlerischen Blick achte ich jedoch in besonderem Maße auf das Erscheinungsbild – Formen, Farben, Proportionen, Bewegung etc. – und erforsche dadurch anderes Forschungsmaterial als bei einer Analyse des Gesagten von Befragten. Künstlerische Forschung bietet den Vorteil, dass man auf der Ebene des Sinnlichen bleibt, unmittelbar am Gegenstand, und man dadurch die Möglichkeit hat, das Unsagbare in den Mittelpunkt der Erkenntnis zu stellen, oder wie Paul Klee es ausdrückte: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“. Meine Kunstwerke sind also eine spezielle künstlerische Art der Kulturforschung, mit denen ich versuche, das Symbolische und Rituelle im alltäglich Funktionalen sichtbar zu machen, das Archaische im Technischen, das Atmosphärische im Rationalen aufzuspüren.
Fremdeln
Dabei bietet die Kunst die Freiheit, nicht empirisch wissenschaftlich vorgehen zu müssen, sondern meine persönliche Sicht zu gestalten. Ich kann auch Einzelphänomene untersuchen und Erkenntnis aus ihnen ziehen, die nicht repräsentativ ist oder bei einer Untersuchung von einem anderen Forscher zu genau derselben Erkenntnis führen muss. Auch darf ich unwissenschaftlich übertreiben, ironisieren oder provozieren, Bezüge herstellen, die nicht existieren oder skurrile Dinge entwickeln, deren symbolische Bedeutung ich zumindest ein Stück weit frei erfunden habe: aus meiner ganz persönlichen Sicht kann ein Gegenstand, z.B. eine Verkehrsinsel, diese Bedeutung haben, auch wenn es aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar ist.
Es geht nicht darum, unumstößliche Wahrheiten aufzudecken, sondern diejenigen, die sich mit meinen Werken befassen, anzuregen, ihre Welt aus ihrer eigenen Sicht zu betrachten und dann vielleicht zu ganz anderen Erkenntnissen zu kommen als ich. Ich möchte dazu verleiten, sich selbst in den Zustand des Fremdelns mit dem Selbstverständlichen zu versetzen und die Dinge mehr aus der symbolischen Sicht, oder einem sonst wie anders gearteten Blickwinkel zu betrachten.
Maßnahmen
Es stellte sich als wichtig heraus, dass ich zu einem großen Teil meine Objekte interaktiv gestalte, also dass sie nicht nur betrachtet werden, sondern auch benutzt. Teilweise haben die Werke nur den Status einer Requisite. Sie werden erst zu Kunstwerken, wenn sie benutzt werden. Oft stört auch eine gewisse Ehrfurcht des Betrachters/Benutzers vor dem Kunstwerk. Das Bedeutungsvolle im Profanen lässt sich nicht erleben, wenn man glaubt, man habe es von vorneherein schon nicht mit etwas Profanem zu tun, sondern einem hochachtungswürdigen Kunstwerk. Daher stelle ich teilweise meine Werke in Serie her oder arbeite mit billigen Materialien – z.B. Kunststoff, um ihnen den Wert der Einmaligkeit und damit ihre Wichtigkeit als Einzelstücke zu nehmen oder ich verschenke einem Ausstellungsbesucher einfach eines der Kunstwerke, wenn ich ohnehin mehrere Exemplare davon hergestellt habe. Man darf sie auch weg werfen!