Am Sonntag waren wir im Kino. Bei der Premiere des Films „Entschieden Psychologisch – Der Blick des Wilhelm Salber“ von Christiane Büchner. Etwa 300 Premierengäste sahen einen wie ich finde sehr kurzweiligen und gelungenen Film. Er schildert Leben und Werk eines der schillerndsten deutschen Psychologen, auch wenn der Begründer der „Morphologischen Psychologie“ außerhalb der Kreise seiner Schüler relativ unbekannt ist.
Hier folgt jetzt weder eine Inhaltswiedergabe (kein Spoiler-Alarm) noch eine Rezension, nicht einmal eine Erlebensbeschreibung. Lediglich ein paar Gedanken und (neue) Erkenntnisse, die ich über Salber und die Morphologie mitgenommen habe, und die zudem auch nur für die wenigen Leser interessant sein werden, die den Film kennen (aber die Anzahl der Leser hat uns ja noch nie gejuckt).
Natürlich gab es nostalgische Anklänge, Erinnerungen an die alten Hörsäle sowie interessante Einblicke in private und familiäre Seiten des Professors, wenn auch vermutlich etwas geschönt und geglättet. Das alleine aber macht nicht die Faszination des Films aus. Nach der Vorstellung erläuterte eine der Initiatorinnen des Films, dass es ihnen bei der Auswahl der Regisseurin v.a. wichtig war, dass es ein künstlerischer Film wird. Für mich war er das, denn es ist ihm gelungen, hinter einer liebevoll inszenierten Fassade die Brüche und Widersprüche nicht nur im „Seelischen“ sondern v.a. auch im Werk des Wilhelm Salber selbst zu inszenieren (wenn vielleicht auch nicht unbedingt beabsichtigt von der Filmemacherin).
Verwandlung und Verwaltung
Der Film sagt zur Morphologie: Sie ist Verwandlung, das Brechen mit dem Althergebrachten und dem Mainstream, Revolte und Zerstörung des alten Muffs. Dies fand aber überwiegend nur auf der Ton- und Textspur statt. Von den Bildern und Materialqualitäten ist mir eher das Bewahren, Sammeln und Archivieren, Sakrales, Fossiles und Knöchernes hängen geblieben. Hölzerne Jesusfigürchen in hölzernen Schubladen, in einem Kästchen abgebrochene Arme von hölzernen Jesusfigürchen, die auf den ersten Blick wie fossile Knochen aussahen (wieso in aller Welt sammelte Salber eigentlich Figuren vom Gekreuzigten ohne die dazugehörigen Kreuze? Darüber gab der Film keinen Aufschluss). Dazu sorgsam aufgehängte und aufgereihte Bilder und Skulpturen mit zumindest dem Anschein nach ebenso alt-christlichen Motiven, in einem Raum atmosphärisch nah an einer Devotionalienhandlung.
Nun, vielleicht ist es genau das, was auch das Werk des Wilhelm Salber ausmacht. Die Spannung zwischen Verändern und Bewahren, zwischen revoltierend und irgendwie antiquiert und fossil, zwischen kreativ-innovativ und streng-orthodox? Die Filmemacherin wird sich vielleicht etwas dabei gedacht haben, dass sie den Film ausgerechnet mit der Szene beginnen ließ, in der Salber auf einem Basar ein „Jesusknöchelchen“ in der Hand dreht. Einen toten Jesus, an dem sich nichts mehr verwandelt.
Gut, es stimmt nicht ganz, dass Revoltierendes nur in den Texten und Wortbeiträgen vorkam – sondern auch in einer Einstellung, in der man ganz kurz ein Bild oder Foto sieht, auf dem irgendetwas mit vielen Messern zu sehen ist, in ein paar alten (Halbstarken-)Fotos aus den 60ern oder 70ern, im Afro von Doc Domke im Abspann (sehr beeindruckend) – und im Zwischenruf aus dem Publikum von Friedrich Heubach, bei dem ich mich gefragt habe, ob er inszeniert war. Hätte ich jedenfalls passend und gut gefunden.
Der Alltag, die Dinge und die Kunst
Es gab noch mehr solcher Spannungen. Hier der (erzählte) Anspruch der Morphologie, den ganz normalen Alltag zu behandeln, auf den ersten Blick unspektakuläre Dinge wie Frühstücken oder Putzen. Demgegenüber das Sakrale, Metaphysische, die großen Themen, Märchen (komisch, ich musste beim Thema Märchen wieder an die Jesusfigürchen in der Schublade denken). Der All-Tag im Alltag, nannte Salber das. Oder: Der Alltag ist nicht grau. In den Bildern war jedenfalls deutlich mehr All-Tag als Alltag. Besteht nicht auch für die Morphologie manchmal die Gefahr, die Phänomene zu sehr zu vernachlässigen, zugunsten des Strukturellen, der Verwandlungsmuster, gerade mit dem Fokus auf ihre „Märchensammlung“?
Oder auch die Sache mit dem Dinglichen. „Suchen Sie nicht nach dem Selbst in Ihnen, Sie werden es da nicht finden“ (Salber in einer Vorlesung). Denn es ist um uns herum, in der Welt, in den Dingen. Schön dazu war die Idee, als die Protagonisten anhand von in Papier eingewickelten Gegenständen etwas über Salber und sein Werk sagen sollten. Was da an Dingen ausgewickelt wurde, war aber dann wieder irgendwie ledern und hölzern (war nicht auch wieder ein toter Heiland dabei?).
Hier wird auch der Unterschied zur Kunst deutlich, oder wurde – vermutlich ungewollt – als Nebenthema inszeniert. In einer Szene sieht man (vermutlich) die kleine Enkelin von Salber, wie sie mit einer Art Knete spielt, auf ihr herumtrampelt, sie zerbröselt, sie wieder zu Klumpen formt. Sie hat schon leuchtende Augen, wibbelt ungeduldig herum, als Papa ihr die Knetmasse ausschüttet. Es ist ihr auch nicht immer angenehm, Matsch unter den Schuhen zu haben, das muss man aushalten, die Lust am Machen ist am Ende aber größer.
Da wo der Psychologe beschreibt und über die Dinge redet, das Um- und Neuformen in Worten nach-bildet – und sie manchmal über Gebühr verundinglicht – da „macht“ die Kunst einfach… und zwar direkt am Ding. Ungehemmtes Drauflosgestalten, Drängen auf Zerstören und Umgestalten, Aushalten von Unwägbarkeiten und Matsch unter den Schuhen – die Kunst (oder auch das Design) hätte auch aus den toten Jesussen etwas gemacht, und sei es nur ein Mobile für die Küche oder einen Jesus-Korkenzieher. Dass Salber mit Vostell zusammenkam, war für ihn, Salber, wichtig – so ein Kommentar im Film. Nicht umgekehrt. Er, Salber, brauchte die Erdung, den richtigen Künstler, der „macht“ statt analysiert. Übrigens auch so ein Gegensatz: „Happenings“ im Kopf und gleichzeitig die Bilder von Salbers Arbeitszimmer, in dem alles am wohlgeordneten Platz steht und hängt und in dem offenbar wenig mit den Dingen „happens“.
Mein Fazit
Ein sehr spannender, klasse gemachter Film (ein großes Dankeschön an die, die ihn möglich gemacht haben!), nachhaltig wirkend und für mich erhellend und aufrüttelnd: Die Morphologie hat keine Leichen im Keller, aber über die Jesusleichen in der Schublade kann man schon mal nachdenken. Erfrischend sind die Aufnahmen mit dem jungen Marktforscher, der Salber selbst nie kannte, the next generation. Der Kollege erklärt uns in einer Szene, wie man Interviews beschreibt und fertigt dazu auch gleich beherzt auf einem Blatt Papier eine Skizze an. Er befreit damit den Film vom Verdacht, ein Nachruf sein zu wollen. Die Morphologie lebt.
(ms)