Fragen Sie die Künstler*innen

Gestern waren wir zum Offenen Atelier im Kunsthaus Rhenania in Köln. Wir haben nur 3 Ateliers besucht (ein viertes kurz), uns aber dafür in jedem viel Zeit gelassen, was auch sehr gut so war.

Claudia Picht zeigte u.a. ein großes Bild, das mich direkt an ein Mandala erinnerte. Da ich mit Mandalas eher Esoterisches oder langweiliges Ausmalen verbinde und dieses Bild farblich auch noch recht blass war, hat es mich zunächst nur mäßig angesprochen. Bei näherer Betrachtung wurde es schon spannender: Es bestand aus vielen kleinen streifenförmigen Papierstücken, man sah jedoch nicht (jedenfalls nicht ohne Lesebrille), woher das Papier stammte. Schließlich kamen wir mit der Künstlerin ins Gespräch, die uns verriet, dass das alles D-Mark Scheine seien, die entwertet wurden und verbrannt werden sollten, sie aber einen Sack davon von der Landesbank bekommen hat.

An der Arbeit hat sie 4 Jahre gesessen. Zuerst die Fetzen nach Farben sortiert oder welche mit erkennbaren Zahlen und Buchstaben herausgesucht. Nach zwei Jahren eigentlich fertig, fand sie die Farbverteilung und Strukturverteilung (mal grober, mal glatter) nicht passend und fing quasi noch einmal von vorne an. Interessiert hat sie an der Arbeit, dass hier ein schnell vernichteter materieller Wert, die Geldscheine, in mühsamer Kleinarbeit (mit der Pinzette) zu einem neuen ideellen Wert transformiert werde: den Weg zu seiner eigenen Mitte, über den kompositorischen Aufbau des Mandalas repräsentiert. Meine anfängliche “langweilig esoterisches Mandala”- Assoziation war verflogen und ich fand die Arbeit – und auch die anderen aus den Geldscheinfetzen – hochinteressant.

Webseite von Claudia Picht

Die Fotografin (und eigentlich studierte Architektin) Anja Schlamann hatte zwei spannende Werke zu bieten. Eine Fotoserie mit blauen Fotos vom Friedhof, dazwischen Personen. Ein Text wies darauf hin, dass sich die Künstlerin hier mit dem Tod – in Anbetracht der Corona Pandemie – beschäftigt hat und die Aufnahmen mit einer selbst gebauten Camera Obscura entstanden. Die dunklen Friedhofstellen hatte sie teils 15 Minuten belichten müssen, die Personen 2 Minuten und sie verriet uns, dass diese Personen alle mit dem Friedhof zusammen hingen: Bestatter, Friedhofsgärtner, Steinmetz, eine Dame von der Friedhofsverwaltung. Die mussten sich alle an etwas anlehnen, um 2 Minuten Belichtungszeit still zu halten. Interessant fand ich auch die Anmerkung der Künstlerin, dass durch das lange Stillhalten das Gesicht in Reinform erscheinen würde, so wie es ohne Mimik aussieht.

Die zweite Arbeit von Anja Schlamann war auf den ersten Blick witzig. Drei große Fotos, auf denen sie selbst als 3 verschiedene Männertypen vor passendem Hintergrund verkleidet war. Richtig spannend wurde diese Arbeit, als Frau Schlamann uns den Hintergrund dazu erzählte und uns auf die Zeitung (in Größe und Papierqualität von Tageszeitungen) auf dem Tisch aufmerksam machte. Ihr Bruder war schon im Babyalter verstorben und sie hatte nun fiktiv 3 mögliche Lebenswege entworfen, was aus ihrem Bruder vielleicht geworden wäre, wenn er nicht gestorben wäre. Zu jedem der fiktiven Lebenswege, Landwirt, Ingenieur, Verwaltungsbeamter (sie hatte sich hier an den anderen Familienmitgliedern orientiert, welche Lebenswege wahrscheinlich waren), hatte sie eine Fotodokumentation erstellt mit scheinbaren Schnappschüssen aus den jeweiligen Lebensalltagen. Die sahen wie echte Schnappschüsse aus, bis auf sie als verkleideter Mann auf vielen der Fotos (auf manchen waren auch nur Landschaftsausschnitte oder Gegenstände ohne Personen abgebildet). Sie wirkte auf den Fotos wie ein skurriler Fremdkörper, was den Bruch zwischen Real und Fiktion sehr anschaulich machte. Es gab auch noch jeweils einen Text zu jedem Lebenslauf in der fiktiven Fotodokumentation: wie lebt er, welche Hobbies hat er, wohin fährt er in Urlaub etc.

Zwei sehr spannende Arbeiten, Webseite von Anja Schlamann

Hanna A. Hovermann tat gut daran, uns direkt darauf hinzuweisen, dass wir ihre fast weißen mit extrem blassen wolkigen Farbflächen versehenen große Aquarelle, die wie Nachbilder wirkten, am besten mehrere Minuten lang anschauen sollten. Ohne diesen Hinweis wäre ich vermutlich mal wieder zu ungeduldig gewesen und zu schnell daran vorbei gehuscht. Die Assoziation “Nachbilder” erwies sich als gar nicht so verkehrt, nur dass es sich hier eher um “Vorbilder” handelte. Schaute man die Bilder lange an, veränderten sich die Farben, kamen in Bewegung, teils tauchten Strukturen auf, die gar nicht da waren und manchmal verschwand auch alles und man hatte den Eindruck, es wäre ein leeres weißes Blatt. Hier spielte die eigene Wahrnehmung – ausgelöst durch die Bilder – ein wenig verrückt. Ich war dann noch neugierig, wie sie solch feine Wolken mit Aquarellfarbe hinbekommt. Das war ein aufwendiger Prozess mit mehreren Schichten, für den sie lange experimentiert hatte. Auch die weniger blassen Aquarelle fand ich spannend, die eine Art gegenstandslose Atmosphäre vermittelten.

Webseite von Hanna A. Hovermann

Mein Besuch hat mir einmal mehr gezeigt, mit welch unterschiedlichen Themen in sehr unterschiedlichen Prozessen Künstler*innen sich künstlerisch mit der Welt, dem Leben oder der menschlichen Wahrnehmung auseinandersetzen. Darüber hinaus wurde mir deutlich, wie erhellend und bereichernd es sein kann, wenn man sich nicht nur auf seine eigenen Assoziationen beim Betrachten von Kunstwerken stützt, sondern den Künstler*innen Fragen stellt und mit ihnen ins Gespräch kommt, um auch etwas zur Entstehungsgeschichte der Werke und ihren Kontext zu erfahren.

(mh)

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